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Und als du schläfst, fällt plötzlich Schnee.

Der aus der Nacht gekommen,

aus dem Nichts entstanden ist,

aus schwarzem Flüstern,

aus dem nächtlichen Horizont,

aus sämtlichen Lüften,

aus sämtlichen Ritzen.

Wenn du schläfst, treibt er aus den Vorstädten heran,

treibt zwischen den Bäumen,

fällt über den Pfaden,

über den Ziegeltoren,

über den Freitreppen und Trottoirs,

über allen Kreuzungen,

über jedem einzelnen Gehöft,

über jeder einzelnen Schiene,

über allem weglosen Gelände,

über Schulen,

über Bahnhöfen,

über Brücken

fällt bis zur Unendlichkeit

fällt bis zum Taumel.

Wenn nichts ist.

Wenn du schläfst.

Über jedem einzelnen Fenster,

über jedem einzelnen Wohnhaus,

fällt über den Läden,

fällt über den Höfen,

legt sich auf die Flüsse,

hüllt sich in Flaggen,

weht in die Keller,

dringt an die Decken.

Über jeder einzelnen Brache,

über jedem einzelnen Plattenbau,

über jeder einzelnen Veranda,

über jedem einzelnen Fensterbrett.

taucht in die Tiefe.

Kommt von den Rändern.

Der Schnee zieht in die Stadt,

wie Liebe unter die Haut geht.

Tief.

Bis aufs Blut.

Bis in die Adern.

In die dunklen Winkel,

in denen der Atem beginnt.

Süß wie Ermüdung, wie eine Droge.

Stechend wie Unsicherheit, wie Schmerz.

An den Nerven entlang

wie an einem Fluss.

Tief unten in den Lungen wie tief unten im Bergwerk,

als Zeugnis aller zukünftigen

Schlaflosigkeiten und Entzündungen,

als Zeugnis aller Haltepunkte

und aller Wege,

als Zeugnis aller Verwandlungen,

die entstehen,

als Zeugnis aller Anfänge

und aller Rückkehr,

zart wie der März,

reif wie der August,

die Liebe steigt im Körper auf

wie warmes Quecksilber

Sie erwärmt mit der Kehle

das steifgefrorene Glas.

Über allen Alleen,

über den Häusern.

Wenn du schläfst,

wenn nichts ist.

Wenn nicht mal mehr das da ist,

was immer da war.

… Halt dieses Gefühl

von Süße und Bitterkeit,

das Gefühl der Hölle,

das in deinen Fingern brennt,

wenn du ihre Kleidung und ihr Haar berührst,

wenn du ihr die Hand reichst,

sie aus der Dunkelheit führst.

Sie sickert in des Rückens große Dunkelheit.

Sie jagt auf den Dachböden

goldene Schneestürme

Dank dieser schwarzen Liebe im eigenen Körper.

Ohne Rücksicht.

Wider alles.

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe

© Serhiy Zhadan

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